Wer wissenschaftlich arbeitet, muss die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis beachten. Hierzu gehört insbesondere „redliches Denken und Handeln“, und zwar nicht nur bei der Forschung, sondern insbesondere auch im Rahmen der Erstellung und Veröffentlichung von Texten. Daraus leitet die Rechtsprechung ab, dass alle, die wissenschaftlich veröffentlichen, „sich nicht mit fremden Federn schmücken dürfen“, also vermeiden müssen, dass Gedanken und Ideen anderer Personen als ihre eigene Leistung erscheinen. Handelt es sich um Darstellungen, die Bestandteil von Prüfungen sind wie z.B. Bachelor- oder Masterthesen, kann in der Nichtbeachtung dieses Prinzips eine Täuschungshandlung liegen. Das gilt selbstverständlich auch für Personen, die promovieren wollen und dafür eine Dissertation fertigen.
Nun gibt es aber in wissenschaftlichen Arbeiten gute Gründe, die Ausführungen Anderer zu übernehmen und darzustellen, etwa um den bisherigen Stand der Wissenschaft oder der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion auf dem eigenen Forschungsgebiet zu skizzieren beziehungsweise darzulegen oder das darzustellen, was durch die Publikation widerlegt oder aber ihr zugrunde gelegt und darauf aufbauend fortentwickelt werden soll. Derartige Übernahmen sind also gerade nicht verboten, sondern ihrerseits selbst gute wissenschaftliche Praxis, wenn, ja wenn die fremde Herkunft offengelegt, die übernommene Passage also als Zitat gekennzeichnet wird, damit, wie die Rechtsprechung formuliert, die Lesenden „immer erkennen können, wer gerade durch den Text zu ihnen spricht.“ Das hierfür gebräuchlichste Verfahren ist das Setzen von Fußnoten, in denen präzise auf die jeweilige Quelle hingewiesen wird, aus der die einzelne Passage übernommen wurde.
Werden diese Grundsätze nicht berücksichtigt, liegt eine Täuschung vor, die zur Aberkennung des akademischen Grades, also zum Beispiel auch zur Entziehung des Doktortitels führen kann. Für eine solche Aberkennung reicht zwar nicht bereits jede wissenschaftliche Nachlässigkeit aus. Allerdings kann die fehlende Kenntlichmachung übernommener Gedanken in den zentralen Bereichen der Arbeit selbst dann schaden, wenn die ungekennzeichneten Übernahmen vom Umfang her gering ausfallen, aber gerade die durch die Dissertation verkörperte Leistung, also den Kern, den wissenschaftlichen Wert der Arbeit betreffen.
Unser Mandant war über einige Monate in das öffentliche Interesse und dadurch in den Fokus der politischen Gegner der Bundesregierung geraten.
Während dieser Zeit wurde ein Plagiatsjäger mit der Überprüfung der Dissertation unseres Mandanten befasst und dieser wurde fündig. Seine Stellungnahme listete - bei gleichzeitig inflationärer Verwendung des Adjektivs „offensichtlich“ und von Ausrufezeichen - eine Fülle einzelner Sätze auf, die nicht durch Fußnoten belegt und damit nicht als Übernahmen aus anderen Texten kenntlich gemacht waren, obwohl unser Mandant sie tatsächlich weitgehend wörtlich aus diesen übernommen hatte. Zudem wimmelte es in der Stellungnahme des Plagiatsjägers von Bewertungen wie: „Wertung: Klares Plagiat Kategorie: Komplettplagiat“ oder „Am Ende des Absatzes ist lediglich der vorletzte Satz … bequellt. Das ist natürlich nicht ausreichend! Wertung ein klares Plagiat!“
Selbstverständlich wurden diese Erkenntnisse sofort an die Medien weitergeleitet und in Printmedien wurde auch tatsächlich, wenn auch nur sehr vereinzelt, entsprechend berichtet. Das rief die Hochschule auf den Plan, die unseren Mandanten promoviert hatte und um eine Stellungahme bat, um zu entscheiden, ob ein Verfahren auf Aberkennung des Doktorgrades eingeleitet werden muss.
Bereits während der Mandatsanbahnung wies unser Mandant uns darauf hin, dass er tatsächlich aus einer Grundlagenschrift über die Methodik der Datenerhebung und -Auswertung Ausführungen übernommen und „nicht sauber“ zitiert habe. Außerdem habe er aus einem eigenen Aufsatz, in dem er bereits vor Veröffentlichung der Dissertation von seinen Erkenntnissen berichtet hatte und der in einer angesehen steuerrechtlichen Fachzeitschrift erschienen war, Passagen wortwörtlich übernommen, ohne dabei seinen Aufsatz (und damit sich selbst) zu zitieren. Problematisch war dabei, dass weitere Personen als Co-Autoren für diesen Aufsatz aufgeführt wurden.
Die Überprüfung der Sachlage ergab zunächst, dass, je nach Zählweise, lediglich zwischen 1 % und 2,5 % des Textes der Dissertation von den Vorwürfen betroffen waren.
Noch interessanter war das Ergebnis der Überprüfung der Rechtslage:
Zunächst einmal müssen in Wahrheit nicht alle übernommenen Texte, die sich wörtlich in den Arbeiten Anderer wiederfinden, als Übernahme kenntlich gemacht werden. Das ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn diese Texte ihrerseits lediglich einen allgemein bekannten, anerkannten Wissensstand zusammenfassen. Denn Adressat einer Promotionsleistung ist die „Wissenschaftsgemeinschaft“, also die Gesamtheit der wissenschaftlich Interessierten. Die Pflicht, fremde Leistungen in der Dissertation durch Nachweise kenntlich zu machen, gilt daher dann nicht, wenn die Kenntnis der fremden Herkunft bei den fachkundigen Adressaten offenkundig vorauszusetzen ist. Das war hier in Bezug auf die übernommenen Ausführungen des Standardwerks zu der Forschungsmethodik der Fall.
Damit blieb der Vorwurf der ungekennzeichneten Übernahme von Passagen aus dem Aufsatz. Die als Co-Autoren genannten Personen erklärten, dass ihre Beiträge nicht die durch die Forschung unseres Mandanten gefundenen Ergebnisse und die daraus gezogenen Folgerungen betrafen, sondern sich auf andere Aspekte bezogen. Außerdem verlangen die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler alle Ergebnisse in den wissenschaftlichen Diskurs einbringen. Sie „entscheiden in eigener Verantwortung - unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des betroffenen Fachgebiets -, ob, wie und wo sie ihre Ergebnisse öffentlich zugänglich machen.“ Genau das hatte unser Mandant mit dem Aufsatz getan. Hätte der Aufsatz allerdings andere Daten, Forschungsergebnisse, Schlussfolgerungen oder Erkenntnisse enthalten, als Sie Gegenstand der Dissertation waren, wäre der Aufsatz zu zitieren gewesen, weil die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis auch verlangen, dass „eigene Vorarbeiten“ zitiert werden müssen. Da aber der Aufsatz ausschließlich das enthält, was umfassender in der Dissertation zu finden ist, konnte unserem Mandanten nicht der Vorwurf eines unzulässigen Selbstplagiats (auch Eigenplagiat genannt) gemacht werden.
Die Feststellungen des Plagiatsjägers, offensichtlich lägen klare Plagiate und Komplettplagiate vor, trafen also nicht zu. Die Hochschule hat daher auch kein Verfahren eröffnet.
Dr. Jürgen Küttner steht Ihnen insbesondere im Prüfungsrecht und im Beamtenrecht als hochqualifizierter Ansprechpartner zur Verfügung.